Sonntag, 12. Januar 2014

Ein Haus der Lebendigkeit und der Begegnung (Hugo: Juli 2014)

Ein Haus der Lebendigkeit und der Begegnung
Die soziokulturelle Initiative KOMPLEX

(Quelle: http://www.hugo-regensburg.de)

Seit Juli letzten Jahres ist es publik: Das einzige innerstädtische Krankenhaus Regensburgs, nämlich das „Evangelische“ am Emmeramsplatz schließt 2017 für immer seine Pforten – aus finanz­ iellen­ Gründen,­ heißt­ es.­ Das­ EKH­ befinde­ sich­ seit Jahren im wirtschaftlichen Minus und sei darüber hinaus­ sanierungsbedürftig,­ ein­ Neubau­ daher­ effizi- enter.­ Die­ rund­ 220­ Mitarbeiter­ des­ Krankenhauses­ werden alle in den Dienst des bis dahin neu entstan- denen „Zentrums für Altersmedizin Regensburg“ auf dem Krankenhausgelände der Barmherzigen Brüder
übernommen.­ Was­ aber­ mit­ der­ riesigen­ Immobilie­ im­ Besitz­ der­ Evangelischen­ Wohltätigkeitsstiftung­ wird,­ ist­ bis ­heute­ noch­ völlig ­unklar.­ Anlass­ für­ soziokulturell­ engagierte­ Einzelpersonen­ und­ Gruppierungen,­ die­ Ini-tiative „KOMPLEX – ein Kulturhaus in Regensburg“ ins Leben­ zu­ rufen,­ die­ nachfragt:­ Was­ passiert­ eigentlich­ mit dem Evangelischen Krankenhaus? hugo sprach mit drei ­der­ Hauptinitiatoren,­ dem­ Sprecher­ und­ Studenten­ Johannes­ Sturm,­ mit­ Jochen­ Lämmel­ und­ Dr.­ Kerstin­ Kratochwill vom gemeinnützigen Musikförderverein und Kulturförderpreisträger­Sublime­e.V.

Die Nachricht von der Aufgabe des Evangelischen Krankenhauses­ erhitzte­ die­ Gemüter ­in Regensburg:­ Vor­ allem­ die ­evangelischen­ Gemeindemitglieder­ fühlten ­sich­ überrumpelt von dieser Entscheidung: „Man hat verkannt, wie wichtig­ das­ einzige­ große­ Gebäude­ neben­ den ­Kirchen­f ür­ das­ evangelische­ Selbstverständnis ­ist.­ Jeder ­Regensburger kennt es, viele haben dort Kranke besucht, sind sogar dort­ geboren­ worden,­ es­ ist­ fußläufig­ zu­ erreichen.­ Für­ die ­Identität ­der ­alten­ Reichstadt,­die­ ja­ protestant­ische­ W­urzeln­ hat,­ ist­ das ­eine­ schwierige­ Situation“,­ so­ Johannes­ Sturm.

Die­ Idee­ einer­ alternativen­ Nutzung­ unter­ dem­ zweidimensionalen Überbegriff KOMPLEX hatten mehrere Einzel personen ­gleichzeitig,­ man­ kam­ ins­ Gespräch,­ hat­ sich­ getroffen.­ „Wir­ haben­ von­ Anfang­ an­ vor­ allem­ versucht,­ öffentlich­ in­ die­ Breite­ zu ­gehen, ­in­ die ­Gesellschaft,­ in­ die­ Kultur,­ in die­ Bürgerschaft. ­Leute­ im­ inneren­ Zirkel ­dabei­ zu haben, die nicht ideologisch oder dogmatisch denken, war­ und­ ist­ uns­ wichtig.­ Menschen,­ die­ einen­ Missstand­ erkannt­ haben­ in­ der­ Stadt,­ den­ man ausdrücklich ­durch­ positive ­und­ strukturierte ­Lösungen ­beheben­ will.­ Leute,­ die Lust darauf haben, mit einer positiven Antwort und aktiven Mitarbeit diesem Bedarf zu begegnen“, fügt ­Jochen ­Lämmel hinzu.­Mit­ an ­Bord­ sind ­inzwischen ­mehr­ als 40 Unterzeichner wie das Evangelische Bildungswerk, die Altstadtfreunde, der Arbeitskreis Kultur, interessierte Einzelpersonen,­ kulturelle ­Institutionen ­und­ Künstler ­und­ Kreative.

Möglichkeitsraum schaffen

Diesen „Missstand“ beschreibt Kerstin Kratochwill: „Es ist­ schwierig­ in­ Regensburg,­ vor­ allem­ für­ junge­ Leute,­ im­ Kreativbereich­ Fuß­ zu ­fassen.­Viele­ kehren ­der ­Stadt­ den­ Rücken...­Das­ liegt einerseits­ mit­ Sicherheit­ am­Bildungssystem, dass der Bachelor nur mehr drei Jahre die Studierenden­ hier­ hält,­ ihnen­ die­ Stadt­ dann­ zu­ klein­ wird­ und­ sie­ woanders­ hingehen.­ Das­ liegt­ aber­ auch­ mit daran, dass für viele Menschen, die sich kreativ betätigen­ wollen, ­die­ Stadt­ nicht­ attraktiv­ genug ­ist, ­und­ es­
muss etwas dafür getan werden, dass dieses Potenzial nicht ­in ­die ­Großstädte­ abwandert.­ Es­ gibt natürlich­ tolle­ Leuchtturmprojekte ­wie­ das ­Jazzweekend,­ die­Tage­ Alter­ Musik­ oder­ die Kurzfilmwoche, ­aber­ gerade ­für­ die­ freie­ Szene ­jenseits ­solcher ­Instanzen ­gibt ­es ­immer ­weniger­ Möglichkeiten.­ Die­ Mieten­ sind­ rasant­ angestiegen,­ da wird es schnell fast unmöglich für Künstler und Kreative, hier noch genug für ihren Lebensunterhalt zu verdienen, mit ­dem­ was ­sie ­machen.­Und deshalb­ wollen ­wir ­einen­ so­genannten­ Möglichkeitsraum­s chaffen,­ der ­jetzt­ auch­ nicht­ unbedingt­ an­ das­ Gebäude­ des­ Evangelischen­ gekettet­ ist.“­ Und­ Johannes­ Sturm­ ergänzt:­ „Wir­ wollen­ einerseits physische ­Räume ­­zur­ Verfügung ­stellen,­ das­ heißt ­aber ­auch ­auf ­der­ anderen ­Seite,­ dass­ dort ­ein­ ide- elles Umfeld geschaffen werden soll, in dem Kreativität und­ Kultur­ gelebt­ werden­ kann.­ Denn­ nur­ dort,­ wo­ ein­ Geist­ der­ Freiheit­ und­ der­ Offenheit­ herrscht,­ ist­ auch­ der Nährboden da, der aus einer Eigeninitiative ein kreatives­ Projekt ­werden­ lässt.­ Diesem ­Geist ­haben­ wir ­uns­ verschrieben.­ Wir­ wollen­ einen­ Ort­ schaffen,­ der­ mögichst ­niedrige­ Hürden ­hat,­ in­dem ­jeder­ willkommen­ ist,­ der­ Lust­hat­ sich ­einzubringen, ­sich­ zu­ engagieren.­ Das­ betten ­wir ­ein ­in ­ein ­soziokulturelles ­Haus.­ Dort ­soll­sich­ von­ der­ Punkband­ bis­ zur­ Blaskapelle,­ vom­ Schüler­ bis­ zum­ Senioren­ alles­ treffen­ und­ sich­ begegnen­ können,­ es­ kann­ von­ einer­ Vereinsversammlung­ bis­ zur­ Kunstausstellung­ alles­ stattfin-
den.“

Die­    KOMPLEX-Initiatoren­ haben festgestellt,  dass die Räume, die es in Regensburg gibt, immer weniger werden, was an den Debatten um das Ostentorkino­ oder­ die­ Alte­ Filmbühne­ offensichtlich­ zu­ Tage­ tritt.­    Händeringend­  suchen­ Bands  in  Regensburg  bezahlbare Proberäume,  das Potenzial    ist also lang nicht abgeschöpft.­ Aber­ wer­ soll das­ bezahlen?­ Jochen­ Lämmel­ dazu:­ „Wenn­ man­ Kul- tur­ will,­ kostet­ Kultur­ Geld.­ Aus­ dem­ Koalitionsvertrag­ geht klar hervor, dass Kultur und Kreativität ernst genommen­ und­ versehen­ mit­ klaren­ Strukturen,­ Willen­ und­ Engagement­ gefördert­ werden­ muss.­ Als­ Vorstand­ eines ­kulturschaffenden­ Vereins ­ist­ diese­ politische ­Willensbekundung­ nur­ zu­ begrüßen.­ Bei­ KOMPLEX­ ist­ es­ aber­ von­ Grund­ auf­ auch­ angedacht,­ Projekte­ quer­ zu­ finanzieren­und­ nicht­ nur ­auf­ Fördergelder­ der­ Stadt ­zu­ schielen.­Wer­ etwas­ will,­ muss ­auch ­etwas­t un.“­ Es ­gab­ bereits­ intensive­ Gespräche­ mit­ der­ Stadt­ im­ Rahmen­ des­ Vorwahlkampfs,­ bei­ allen­ Oberbürgermeisterkan- didaten­ stieß­ man­ auf­ offene­ Ohren.­ Jetzt­ wurden­ bereits­ Verhandlungen­ mit­ der­ neuen Koalition im Rathaus aufgenommen.­ Oberbürgermeister­ Joachim­ Wolbergs­ hat  seine Unterstützung zugesagt und KOMPLEX im Koalitionsvertrag berücksichtigt.­

Das­ geplante­ Haus­ soll­ vor­ allem eine Ort der Begegnung­ sein:­ „Wir­ wollen­ kein­  Haus,­ in­ dem­ der­ Künstler­ im Atelier verschwindet, wir wollen­ ein­ Haus­ der­ Lebendigkeit, wo sich der Künstler mit­jemandem ­vom ­Obst-­und­Gartenbauverein ­trifft.­ Oder­ wo­ jemand­ vorbeiläuft­ und ­denkt ,­ach,­ich ­geh‘­einen ­Kaffee­trinken.­ Da ­ist­ gerade­ eine­Ausstellung, ­die ­schaue ­ich­ mir­ auch­ gleich­ noch­ an.­ Bei­ uns­ soll­ jeder­ einen­ Raum­ vorfinden,­ in­ dem ­er­ sich ­verwirklichen ­kann“,­so­ Sturm.
Wie­ geht­ es­ weiter,­ was­ steht­ konkret­ an?­ „Wir­ hoffen,­ dass wir bald über konkrete Räume sprechen können, um­ weiter ­denken ­zu ­können.­ Der­Ball­ liegt ­aber­ momentan­ nicht­ auf ­unserer ­Seite,­ wir­ sind­zwar­ dahinter, ­dass­ wir ­im­ Gespräch­ bleiben,­ dass­ der­ Schwung,­ der­ da ­ist,­ nicht ­abebbt.­ Auf­ der anderen­ Seite­ war ­die­ Zeit­ noch ­nie­ so ­reif,­ es­ herrscht ­gerade­ in ­der­ ganzen­ Stadt ­ein ­ganz­ anderer Geist.­ Unser­ Engagement ­wird­ auch­ von­ städtischer­ Seite­ her­ als­ Bereicherung­ empfunden,­ denn­ wir­ wollen etwas bewegen und mitgestalten - unseren positiven Beitrag aus der Bürgerschaft heraus leisten, um die Stadt­ für ­die ­Bürger­ attraktiv ­zu ­machen“,­ so­ Kratochwill­ weiter.

Der­ Begriff­ „Haus“­ soll­ aber­ auch­ auf­ das­ andere­ Regensburg­ verweisen,­ jenseits­ der­ mittelalterlichen­ Fassaden,­ des­ südländischen­ Flairs,­ des­ Tourismus,­ auf­ das­ Regensburg­ der­ Bürger,­ des­ Alltags.­ „Unser­ Haus­ hat­ auch­ einen­ sozialen­ Anspruch.­ Motto­ ist,­ „so­ offen­ wie­ möglich,­ so­ konkret­ wie­ nötig“.­ Es­ ist­ zum­ Beispiel­ essenziell­ wichtig,­ auch­ ältere­ Herrschaften,­ die­ den­ ganzen­ Tag­ allein­ zu­ Hause­ sind­ und­ sich­ nutzlos­ und­ ausgeschlossen fühlen, zurückzuholen ins alltägliche Leben.­Sie­zu­fragen,­was­ kannst­ du­ gut?­Aha,­ stricken,­ etwas­ vorlesen,­ einen­ Tisch­ schreinern,­ als­ Zeitzeuge­ auftreten...­ ­ Die­ wollen­ wir­ mit­ jüngeren­ Menschen­ zu- sammenbringen, die vielleicht eher bildungsfern sind, deren Eltern arbeiten gehen, die eher außerhalb stehen und immer zuschauen müs kommt auch der Begriff der Nachhaltigkeit­ ins­ Spiel.­ Es­ soll­ bewusst­ gemacht­ werden, dass unsere Ressourcen nicht unendlich sind, dass der Müll, den wir produzieren, nicht einfach verschwindet.­ „Man­ muss­ nicht­ gleich­ immer­ alles­ wegwerfen,­ Kaputtes­ kann­ man­ reparieren.­ So­ könnten­ wie­ etwa­ Workshops­ zum­ Thema­ anbieten,­ Werkstätten­ etablieren,­ in­ denen­ repariert­ werden­ kann.­ Da­ könnten­ dann­ „ältere“, erfahrene Experten, die so etwas noch können, ihr­ Wissen­ weitergeben,­ man­ lernt­ voneinander,­ lernt­ den­ anderen­ wertschätzen,“­ sagt­ die­ Gruppe.­ Und­ Johannes­ Sturm­ fasst­ zusammen:­ „Wir­ wollen­ ein­ Haus,­ das­ Tag­ und­ Nacht­ lebendig­ ist...­ Brücken­ schlagen­ zur­ Uni, zu den Partnerstädten, es gibt extrem viel Potenzial in­ dieser ­Stadt.­Wir­ haben ­Lust ­etwas­ zu­ verändern,­ das­ treibt ­uns­ an.“­

Homepage mit Konzept und Unterstützerliste: 
http://www.komplexregensburg.blogspot.de
www.facebook.com/komplexregensburg


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen