Ein Haus der Lebendigkeit und der Begegnung
Die soziokulturelle Initiative KOMPLEX
(Quelle: http://www.hugo-regensburg.de)
Seit Juli letzten Jahres ist es publik: Das einzige innerstädtische Krankenhaus Regensburgs, nämlich das „Evangelische“ am Emmeramsplatz schließt 2017 für immer seine Pforten – aus finanz iellen Gründen, heißt es. Das EKH befinde sich seit Jahren im wirtschaftlichen Minus und sei darüber hinaus sanierungsbedürftig, ein Neubau daher effizi- enter. Die rund 220 Mitarbeiter des Krankenhauses werden alle in den Dienst des bis dahin neu entstan- denen „Zentrums für Altersmedizin Regensburg“ auf dem Krankenhausgelände der Barmherzigen Brüder
übernommen. Was aber mit der riesigen Immobilie im Besitz der Evangelischen Wohltätigkeitsstiftung wird, ist bis heute noch völlig unklar. Anlass für soziokulturell engagierte Einzelpersonen und Gruppierungen, die Ini-tiative „KOMPLEX – ein Kulturhaus in Regensburg“ ins Leben zu rufen, die nachfragt: Was passiert eigentlich mit dem Evangelischen Krankenhaus? hugo sprach mit drei der Hauptinitiatoren, dem Sprecher und Studenten Johannes Sturm, mit Jochen Lämmel und Dr. Kerstin Kratochwill vom gemeinnützigen Musikförderverein und KulturförderpreisträgerSublimee.V.
Die Nachricht von der Aufgabe des Evangelischen Krankenhauses erhitzte die Gemüter in Regensburg: Vor allem die evangelischen Gemeindemitglieder fühlten sich überrumpelt von dieser Entscheidung: „Man hat verkannt, wie wichtig das einzige große Gebäude neben den Kirchenf ür das evangelische Selbstverständnis ist. Jeder Regensburger kennt es, viele haben dort Kranke besucht, sind sogar dort geboren worden, es ist fußläufig zu erreichen. Für die Identität der alten Reichstadt,die ja protestantische Wurzeln hat, ist das eine schwierige Situation“, so Johannes Sturm.
Die Idee einer alternativen Nutzung unter dem zweidimensionalen Überbegriff KOMPLEX hatten mehrere Einzel personen gleichzeitig, man kam ins Gespräch, hat sich getroffen. „Wir haben von Anfang an vor allem versucht, öffentlich in die Breite zu gehen, in die Gesellschaft, in die Kultur, in die Bürgerschaft. Leute im inneren Zirkel dabei zu haben, die nicht ideologisch oder dogmatisch denken, war und ist uns wichtig. Menschen, die einen Missstand erkannt haben in der Stadt, den man ausdrücklich durch positive und strukturierte Lösungen beheben will. Leute, die Lust darauf haben, mit einer positiven Antwort und aktiven Mitarbeit diesem Bedarf zu begegnen“, fügt Jochen Lämmel hinzu.Mit an Bord sind inzwischen mehr als 40 Unterzeichner wie das Evangelische Bildungswerk, die Altstadtfreunde, der Arbeitskreis Kultur, interessierte Einzelpersonen, kulturelle Institutionen und Künstler und Kreative.
Möglichkeitsraum schaffen
Diesen „Missstand“ beschreibt Kerstin Kratochwill: „Es ist schwierig in Regensburg, vor allem für junge Leute, im Kreativbereich Fuß zu fassen.Viele kehren der Stadt den Rücken...Das liegt einerseits mit Sicherheit amBildungssystem, dass der Bachelor nur mehr drei Jahre die Studierenden hier hält, ihnen die Stadt dann zu klein wird und sie woanders hingehen. Das liegt aber auch mit daran, dass für viele Menschen, die sich kreativ betätigen wollen, die Stadt nicht attraktiv genug ist, und es
muss etwas dafür getan werden, dass dieses Potenzial nicht in die Großstädte abwandert. Es gibt natürlich tolle Leuchtturmprojekte wie das Jazzweekend, dieTage Alter Musik oder die Kurzfilmwoche, aber gerade für die freie Szene jenseits solcher Instanzen gibt es immer weniger Möglichkeiten. Die Mieten sind rasant angestiegen, da wird es schnell fast unmöglich für Künstler und Kreative, hier noch genug für ihren Lebensunterhalt zu verdienen, mit dem was sie machen.Und deshalb wollen wir einen sogenannten Möglichkeitsraums chaffen, der jetzt auch nicht unbedingt an das Gebäude des Evangelischen gekettet ist.“ Und Johannes Sturm ergänzt: „Wir wollen einerseits physische Räume zur Verfügung stellen, das heißt aber auch auf der anderen Seite, dass dort ein ide- elles Umfeld geschaffen werden soll, in dem Kreativität und Kultur gelebt werden kann. Denn nur dort, wo ein Geist der Freiheit und der Offenheit herrscht, ist auch der Nährboden da, der aus einer Eigeninitiative ein kreatives Projekt werden lässt. Diesem Geist haben wir uns verschrieben. Wir wollen einen Ort schaffen, der mögichst niedrige Hürden hat, indem jeder willkommen ist, der Lusthat sich einzubringen, sich zu engagieren. Das betten wir ein in ein soziokulturelles Haus. Dort sollsich von der Punkband bis zur Blaskapelle, vom Schüler bis zum Senioren alles treffen und sich begegnen können, es kann von einer Vereinsversammlung bis zur Kunstausstellung alles stattfin-
den.“
Die KOMPLEX-Initiatoren haben festgestellt, dass die Räume, die es in Regensburg gibt, immer weniger werden, was an den Debatten um das Ostentorkino oder die Alte Filmbühne offensichtlich zu Tage tritt. Händeringend suchen Bands in Regensburg bezahlbare Proberäume, das Potenzial ist also lang nicht abgeschöpft. Aber wer soll das bezahlen? Jochen Lämmel dazu: „Wenn man Kul- tur will, kostet Kultur Geld. Aus dem Koalitionsvertrag geht klar hervor, dass Kultur und Kreativität ernst genommen und versehen mit klaren Strukturen, Willen und Engagement gefördert werden muss. Als Vorstand eines kulturschaffenden Vereins ist diese politische Willensbekundung nur zu begrüßen. Bei KOMPLEX ist es aber von Grund auf auch angedacht, Projekte quer zu finanzierenund nicht nur auf Fördergelder der Stadt zu schielen.Wer etwas will, muss auch etwast un.“ Es gab bereits intensive Gespräche mit der Stadt im Rahmen des Vorwahlkampfs, bei allen Oberbürgermeisterkan- didaten stieß man auf offene Ohren. Jetzt wurden bereits Verhandlungen mit der neuen Koalition im Rathaus aufgenommen. Oberbürgermeister Joachim Wolbergs hat seine Unterstützung zugesagt und KOMPLEX im Koalitionsvertrag berücksichtigt.
Das geplante Haus soll vor allem eine Ort der Begegnung sein: „Wir wollen kein Haus, in dem der Künstler im Atelier verschwindet, wir wollen ein Haus der Lebendigkeit, wo sich der Künstler mitjemandem vom Obst-undGartenbauverein trifft. Oder wo jemand vorbeiläuft und denkt ,ach,ich geh‘einen Kaffeetrinken. Da ist gerade eineAusstellung, die schaue ich mir auch gleich noch an. Bei uns soll jeder einen Raum vorfinden, in dem er sich verwirklichen kann“,so Sturm.
Wie geht es weiter, was steht konkret an? „Wir hoffen, dass wir bald über konkrete Räume sprechen können, um weiter denken zu können. DerBall liegt aber momentan nicht auf unserer Seite, wir sindzwar dahinter, dass wir im Gespräch bleiben, dass der Schwung, der da ist, nicht abebbt. Auf der anderen Seite war die Zeit noch nie so reif, es herrscht gerade in der ganzen Stadt ein ganz anderer Geist. Unser Engagement wird auch von städtischer Seite her als Bereicherung empfunden, denn wir wollen etwas bewegen und mitgestalten - unseren positiven Beitrag aus der Bürgerschaft heraus leisten, um die Stadt für die Bürger attraktiv zu machen“, so Kratochwill weiter.
Der Begriff „Haus“ soll aber auch auf das andere Regensburg verweisen, jenseits der mittelalterlichen Fassaden, des südländischen Flairs, des Tourismus, auf das Regensburg der Bürger, des Alltags. „Unser Haus hat auch einen sozialen Anspruch. Motto ist, „so offen wie möglich, so konkret wie nötig“. Es ist zum Beispiel essenziell wichtig, auch ältere Herrschaften, die den ganzen Tag allein zu Hause sind und sich nutzlos und ausgeschlossen fühlen, zurückzuholen ins alltägliche Leben.Siezufragen,was kannst du gut?Aha, stricken, etwas vorlesen, einen Tisch schreinern, als Zeitzeuge auftreten... Die wollen wir mit jüngeren Menschen zu- sammenbringen, die vielleicht eher bildungsfern sind, deren Eltern arbeiten gehen, die eher außerhalb stehen und immer zuschauen müs kommt auch der Begriff der Nachhaltigkeit ins Spiel. Es soll bewusst gemacht werden, dass unsere Ressourcen nicht unendlich sind, dass der Müll, den wir produzieren, nicht einfach verschwindet. „Man muss nicht gleich immer alles wegwerfen, Kaputtes kann man reparieren. So könnten wie etwa Workshops zum Thema anbieten, Werkstätten etablieren, in denen repariert werden kann. Da könnten dann „ältere“, erfahrene Experten, die so etwas noch können, ihr Wissen weitergeben, man lernt voneinander, lernt den anderen wertschätzen,“ sagt die Gruppe. Und Johannes Sturm fasst zusammen: „Wir wollen ein Haus, das Tag und Nacht lebendig ist... Brücken schlagen zur Uni, zu den Partnerstädten, es gibt extrem viel Potenzial in dieser Stadt.Wir haben Lust etwas zu verändern, das treibt uns an.“
Homepage mit Konzept und Unterstützerliste:
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